Christian im ÖHV Interview

die lobby: Sie engagieren sich beide schon lange für mehr Nachhaltigkeit im Tourismus. Wie hat sich der Stellenwert dieses Themas – in der Branche und auch beim Gast – in den letzten Jahrzehnten verändert?


Michaela Reitterer: Der Schub der vergangenen Jahre und auch durch Corona ist erstmals wirklich spürbar. Es wurde ja auch schon höchste Zeit! Gästeverlangen danach und das wird auch in Zukunft noch viel mehr werden.
Christian Grünbart: Die ökologische Nachhaltigkeit hat in den letzten Jahren eine sehr hohe Bedeutung erlangt und ist für viele Gäste bereits ein wesentliches Buchungsmotiv. Die soziale Nachhaltigkeit spielt hingegen in der Hotel- und Destinationsauswahl noch immer eine untergeordnete Rolle. Es wird bei einer Buchung kaum hinterfragt, ob das gebuchte Hotel seine Mitarbeiter: innen bestmöglich behandeln, alle Steuern korrekt abgeführt werden und auch Frauen in Führungsrollen
sind.


die lobby: Was sind aktuell hinsichtlich Energie & Klimaschutz die wesentlichen Herausforderungen für die Branche? Was braucht es hier seitens der Politik?
Michaela Reitterer: Ich denke, dass der Weg, nur mehr nachhaltige Investitionen zu fördern bzw. auch nur zu finanzieren (Europäische Taxonomie), der richtige Weg ist. Die Unternehmer:innen werden die entsprechenden Investitionen für ihre Hotels vorantreiben, die Politik soll bitte die Rahmenbedingungen dafür schaffen. Wichtig ist, dass die Bürokratie nicht mehr wird, sondern unbedingt weniger – siehe momentan die Zeit und Handhabung für Photovoltaikeinreichungen. Da brauchen wir dringend Veränderungen!
Christian Grünbart: Aktuell lassen die massiv gestiegenen Energiekosten den GOP wie die Butter in der Sommersonne schmelzen. Neben den Kosten verdeutlicht diese Situation wieder mal, dass das eigene Geschäftsmodell von externen, nicht beeinflussbaren Faktoren, sehr abhängig ist. Langfristig sollte deshalb jedes Hotel – oder auch die Destination in einem Kooperationsmodell – versuchen, so viel Energie wie möglich selbst zu erzeugen und damit bei der Versorgung und bei den Kosten unabhängiger zu werden. Hier muss die Politik einfachere Fördermöglichkeiten und Rahmenbedingungen schaffen – z.B. zinslose Kredite für die Energie- gewinnungsanlage.


die lobby: Im Tourismus passiert schon sehr viel zum Thema Nachhaltigkeit – trotzdem ist die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit oft eine andere: Stichwort weiße Pistenbänder oder Heizschwammerl. Müssen wir besser kommunizieren?
Michaela Reitterer: Ja. Wenn wir unser eigenes Storytelling nicht in die Hand nehmen, dürfen wir uns nicht ärgern, wenn es andere tun! Und da wissen wir alle, dass nur bad news wirklich good news sind. Also bitte: Erzählt alle eure eigenen Stories über alles, was ihr täglich für die Umwelt tut!
Christian Grünbart: Die Hotellerie ist in Österreich mit vielen Familienbetrieben sehr kleinstrukturiert. Deswegen müssen wir die Leuchtturmprojekte vor den Vorhang holen. Aber wir müssen auch als Branche mutiger werden und klare Richtlinien schaffen. Z.B. könnte man für eine Viersterne-Klassifizierung aufwärts die Erfüllung gewisser Umwelt und Nachhaltigkeitsstandards voraussetzen. Das wäre eine gewaltige Marketingaussage und ein USP für die österreichische Hotellerie. Der Konsument kann bei einem Hotelaufenthalt viel genauer hinter die Kulissen blicken und uns auf die Finger schauen, als dies bei anderen Produkten und deren Herstellung in Industriebetrieben möglich ist. Und weil dies einfach so ist, sollten wir ihn auch hinter die Kulissen blicken lassen und aufzeigen, was wir schon alles für einen nachhaltigen Urlaub tun oder zumindest in Planung haben. Weiters aber auch den Gast zum aktiven Umweltschutz auffordern – wie weniger Handtücher verwenden, Zimmereinigung aussetzen, öffentlich anreisen oder einfach die eigenen Badeschlapfen mitnehmen. Weiters müssen wir klar aufzeigen, dass ein weißes Pistenband nicht unbedingt die traumhafte Winterlandschaft symbolisiert, aber auch keine wesentlichen Auswirkungen auf die Umwelt hat. Transparent und mutig sein!

 

die lobby: Welche Rolle kann und soll die ÖHV in Bezug auf die Entwicklung des Tourismus hin zu mehr Nachhaltigkeit spielen?
Michaela Reitterer: Mit der Initiative „Zeichen setzen“ ist die ÖHV schon so viel weiter als andere Interessenvertretungen – und das seit 2019. Aber hier geht noch viel mehr – die heurige Green Tourism Conference in Wien war nicht nur ein toller Erfolg, sondern auch in Europa eine einzigartige Initiative. Das sollten wir unbedingt beibehalten und uns dafür die Unterstützung der EU holen. Es ist nicht nur wichtig, sondern auch beispielgebend. Denn nachhaltiger Tourismus kann ein Alleinstellungsmerkmal für Europa werden und die ÖHV kann hier eine federführende Rolle spielen.
Christian Grünbart: Das gesamte Fördermodell sollte auf neue Beine gestellt werden, in dem nicht nur „dazu finanziert“ wird, sondern nachhaltige Einzel- oder Destinationsprojekte mit einer öffentlichen Finanzierung „angestoßen“ und über 2–3 Jahrzehnte wieder für die öffentliche Hand verdient werden (PPP Modelle). SDG und Nachhaltigkeitsstandards in die Hotelklassifizierung einbauen, soziale Mindeststandards – die über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehen – aufbauen, um die Attraktivität für die Arbeit im Tourismus zu erhöhen, tolle Nachhaltigkeitsprojekte vor den Vorhang holen und ständige PR-Arbeit zu diesem umfassenden Thema: Das alles kann ein Betrieb und eine Region nicht erreichen, sondern nur eine übergeordnete Organisation, wie es die ÖHV ist, schaffen.

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